Der Schutzengel
Früher war ich ein ganz normales Mädchen, ich hatte viele Freundinnen, ging gerne mit ihnen weg, shoppen, lästern, was
Mädchen nun mal so machen. Es war alles in Ordnung, ich wollte es nie ändern.
Doch dann kam der Hieb, der mich unerwartet und eiskalt traf.
Es war im Winter 2003, als ich mit meinem älteren Bruder zu einer Party fuhr. Ich traf mich dort mit Freundinnen, es sollte
ein amüsanter und lustiger Abend werden. Wir tranken viel, auch mein Bruder, sowohl er uns doch noch mit dem Auto fahren sollte.
Meine Eltern hatten ihm vorher noch mal eine Standpauke verpasst, dass er auch ja nichts trinken sollte, da sie wussten, dass
er gerne mal zum Bier griff und trotzdem fuhr. Sie machten sich große Sorgen um mich, da ich mit meinen 16 Jahren ihr kleines
Mädchen war, dass sie immer beschützen wollen. Er hatte auch schon mehrer Unfälle dadurch gebaut, nie ist ihm etwas passiert,
er musste wohl so etwas wie einen Schutzengel haben. Ich hoffte für mich, als ich meinen Bruder mit dem Bier sah, dass es da oben
auch einen Schutzengel für mich gab, der dafür sorgen würde, dass ich heil und lebend nach Hause komme.
Meine Freundinnen und ich tanzten die ganze Zeit, ich lernte einen süßen Jungen kennen, erst war ich am überlegen, ob ich nicht mit
ihm fahren sollte, er hatte ein Auto und ich dürfte sogar bei ihm pennen, das Problem wären meine Eltern und mein Bruder. Er würde
es mir nie erlauben, mit ihm mit zufahren, schon gar nicht weil ich ihn ja erst gerade kennen gelernt hatte, aber ich wollte auch mal etwas
riskieren, so wie meine Freundinnen, sie erzählten immer von ihren Erlebnissen, wenn sie unterwegs waren, ihre hemmungslosen
Bettgeschichten, das machte mich neugierig, ich wollte dies auch mal erleben.
Meine Freundinnen waren immer um mich rum, ich erzählte ihnen meine Situation und sie meinten, ich solle einfach mit ihm abhauen,
sie würden meinem Bruder schon etwas erzählen, dass ich zum Beispiel bei einer Freundin schlafe oder so ähnlich. Ich überlegte noch
lange, denn sicher war ich mir auf keinen Fall, meine Eltern und meinen Bruder zu belügen war nicht gerade meine Art und wenn dies
rauskam, gab es erst mal richtig Stress zu Hause und eine Menge Hausarrest.
Ich tanzte noch eine Weile mit dem Jungen und beschloss es doch zu tun, ich wartete einen Moment ab, indem mein Bruder nicht auf
mich achtete und verschwand heimlich im Ausgang, ich freute mich und mein Herz pochte. Leider bemerkte ich nicht, dass mein Bruder
es doch mitbekam und uns hinterher kam, er schrie und beschimpfte den Jungen. Er schlug ihn nieder. Ich hatte plötzlich Angst vor meinem
Bruder, er kam auf mich zu, wütend auf mich und ich dachte er klatscht mir jetzt eine, doch er packte mich etwas grob am Arm und zog mich
zum Auto, ich weinte und wollte mich entschuldigen, doch er schrie mich immer weiter an. Ich blieb still, wollte ihn nicht weiter verärgern, setzte
mich still ins Auto und dachte noch einmal daran, dass er zu viel getrunken hatte. Ich sprach ihn darauf an, doch darauf hin wurde er nur noch
aggressiver. Meine Freundinnen kamen auch raus gerannt, kümmerten sich um den Jungen und liefen hinter dem Auto her.
Auf dem Weg nach Hause sprachen wir kein Wort, an einer Kreuzung standen ein paar Rüpel neben uns, sie hupten die ganze Zeit und schrien
irgendetwas rüber. Ich wusste nicht was sie wollten, doch mein Bruder schien diese Kerle zu kennen und trat aufs Gas, als es Grün wurde,
ich bekam einen Schreck, als mir auffiel, dass dies ein Rennen sein sollte. Ich schrie meinen Bruder an, dass er es lassen sollte, das es viel zu
gefährlich sei, doch er hörte nicht auf mich.
Wir fuhren aus der Stadt hinaus, wo die Straßen einen Augenblick lang enger wurden, sich dann aber nach einer großen Kurve wieder breiteten.
Sie fuhren immer schneller und ich bekam immer mehr Angst.
Plötzlich kam diese Kurve, und ich sah nur noch weiße Scheinwerfer und einen Baum auf uns zu kommen. Ein letzter Schrei entwich mir.
„Heute Nacht zum 12. Dezember 2003 verunglückten zwei Jugendliche bei einer Raserei. Die beiden Jugendlichen kamen bei einem
Straßenrennen aus der Spur und prallten gegen einen entgegenkommenden Lastwagen. Der Lastwagen drückte dann das Auto mit ihren
Insassen an einen naheliegenden Baum. Für die 16 jährige Insassin kam jede Hilfe zu spät, sie verstarb noch am Unglücksort,
der 20 jährige Fahrer wurde mit lebensgefährlichen Verletzungen ins Krankenhaus gefahren, noch dazu wurde Alkoholkonsum
beim Fahrer festgestellt.. Dem Lastwagenfahrer ist nichts schlimmes passiert und die beiden anderen Raser wurden erst mal festgehalten.
Straßenrennen mit Alkoholkonsum- eine tödliche Mischung, wie dieser Fall beweist.“
So war es nun, wir prallten gegen diesen Baum, das letzte was ich noch weiß, ist, dass ich versucht hatte mich abzuschnallen....
Das war wohl mein Fehler.
Ich hatte keinen Schutzengel.
Kein Engel wollte mich haben, mein Leben schützen, deswegen musste ich sterben.
Mein Bruder, dessen Schutzengel ihm wieder einmal das Leben rette, kam über meinen Tod nicht hinweg, er kam in eine psychiatrische
Klinik, wo er erst mal seinen übertriebenen Alkoholgenuss unter Kontrolle bringen und die Verantwortung über meinen Tod verarbeiten musste.
Das werden harte Zeiten für ihn...
Und doch, soll er so lernen, nie wieder mit Alkohol Auto zu fahren und anderen dies auch sagen, damit nicht noch eine Person ohne
einen Schutzengel sterben muss.
Ich werde nun hoffentlich ein Schutzengel und kann einem jungen Mädchen in einer ähnlichen Situation helfen.
Das wäre mein sehnlichster Wunsch. |